Der Ringfuchs Wrestling Podcast

Wieso ist Wrestling so großartig? Und warum so schlimm?

wXw Shotgun 2020 – Staffel 1 im Review

Während Wrestling im europäischen Bereich 2020 durch die Coronapandemie weitesgehend zum Erliegen gekommen ist, machte die wXw aus der Not eine Tugend und entstaubte mit wXw Shotgun ein verloren geglaubtes Format, um in der Zwangspause Wrestling zeigen zu können und die eigenen Fans bei der Stange zu halten. Auch wenn aufgrund verschiedenster Umstände dabei nicht alles geglückt ist, war das ein Erfolg und zeigt deutlich, wie sehr die wXw vom einst ad acta gelegten Format so sehr profitieren kann.

Storyline-Kitt

Dass das Format überhaupt in der Mottenkiste gelandet war, wirkt im Nachhinein befremdlich, war aber letztendlich politischen Umständen geschuldet. Zuerst wanderte das einst frei verfügbare Produkt von Youtube hinter die wXwNOW Paywall, mit der Verkündung des Abgangs von Christian Jakobi wurde das Format mit Verweis auf eine nicht zufriedenstellende Wiedergabe- sowie Abrufzahl komplett eingestellt. Zusätzlich verließ mit Jakobi einer der kreativen Köpfe die Promotion, weshalb die arbeitsintensive Umsetzung der Show schlichtweg nicht mehr möglich war.

Während der Verweis auf den messbaren Erfolg natürlich absolut valide ist, ist allerdings auch kaum von der Hand zuweisen, welchen maßgeblichen Erfolg Shotgun am Durchbruch der wXw auf dem nationalen wie internationalen Markt hatte, fungierte gleichermaßen als Kitt zwischen den Storylines als auch als sichtbares Werbemittel direkt auf Youtube.

Aderlass & Neuausrichtung

Diesen Kitt hätte die wXw insbesondere im letzten Jahr gut gebrauchen können. Ob die Promotion sich aufgrund des immer wieder im Raum schwebenden Deals mit der WWE (für den es bis heute keine offizielle Bestätigung gibt) fragen muss, ob einige der Probleme hausgemacht sind, ist zumindest eine offene Frage. Dass man aber auch abseits davon vermutlich mit Abgängen zu kämpfen gehabt hätte, scheint ebenso selbstverständlich. Ein fast schon beispielloser Aderlass hat die wXw binnen kürzester Zeit auf Links gedreht. Wenn man den Kader aus den Sommermonaten 2018 daneben hält wird schnell deutlich, wie groß die personellen Umwälzungen wirklich waren:

  • WALTER (Inzwischen NXT/WWE-Superstar)

  • Timothy Thatcher (Inzwischen NXT/WWE-Superstar)

  • Ilja Dragunov (Inzwischen NXT/WWE-Superstar)

  • David Starr (Vermeintlich aufgrund der Dealsituation mit WWE raus, wäre spätestens im Zuge der #SpeakingOut-Enthüllungen zurecht aus der Promotion geflogen)

  • Toni Storm (Inzwischen NXT/WWE-Superstar)

  • Julian Pace (Im Zuge der #SpeakingOut-Bewegung Zusammenarbeit beendet)

  • Jay Skillet (Im Zuge der #SpeakingOut-Bewegung Zusammenarbeit beendet)

  • Veit Müller (Zusammenarbeit mit der wXw beendet)

  • Francis Kaspin (Karriere verletzungsbedingt beendet)

  • Julian Nero (Verletzungsbedingt inaktiv)

  • Ivan Kiew (Zusammenarbeit vorläufig pausiert)

  • Pete Bouncer (Zusammenarbeit vorläufig ausgesetzt)

Bereits kurz zuvor als Abgänge zu vermelden:

  • Axel Dieter Jr/Marcel Barthel. (Inzwischen NXT/WWE-Superstar)

  • Tommy End/Alistair Black (Inzwischen NXT/WWE-Superstar)

Eine beachtliche Liste, insbesondere wenn man zusätzlich miteinbezieht, dass sich die Fly-In Situation durch den Wandel des Independent Marktes noch einmal gehörig verschärft hat und durch die Komponente AEW/WWE ein weiterer Faktor auf den Plan tritt.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich insbesondere durch die Abgänge der Maineventer-Riege Unmut im Fanlager breit gemacht hat. Die wenigsten werden es den ehemaligen Hometown Heroes nicht gegönnt haben, aber tatsächlich ist man als Wrestlingfan dermaßen den Prozess der Fackelübergabe gewohnt, dass man nicht umhin kam sich eben dieser Transferphase beraubt zu fühlen.

Ilja, WALTER und vor allem Thatcher wurden gefühlt aus der Promotion gerissen und legten zwangsläufig die Lücken auf, die ihre Abgänge auf absehbare Zeit hinterlassen würden. Dass mit Kaspin, Müller, Skillet und Pace nach und nach und aus unterschiedlichsten Gründen die Leute verschwanden, die man als potentielle nächste Generation auf dem Schirm hatte, stand man als Fan durchaus vor der Frage, wie die ganze Sache denn nun weitergehen sollte, wenngleich die wXw von außen betrachtet immer noch sehr gut wirtschaftete und gut besuchte Hallen zu verzeichnen hatte.

Ein geglückter & alternativloser Neuanfang

In dieses Vakuum aus Pandemie und Problemen stößt dann wXw Shotgun 2020. Als zehnteilige, eierlegende Wollmilchsau ist sie nicht nur das Comeback nach der wrestlingfreien Zeit, sondern auch gleichzeitig ein alternativloser Neuanfang. Dass das geglückt ist, wirkt wie ein kleines Wunder, zeigt aber auch gleichzeitig wie sehr die wXw von diesem Format profitiert.

Avalanche & Schüler vor bildschönem Hintergrund. (Quelle: wxwnow.com)

Vorweg: Es macht sicherlich keinen Sinn Shotgun 2020 nach rein objektiven Kriterien wie jede andere Wrestlingshow zu bewerten. So moralisch korrekt die Entscheidung der wXw war sich von einigen Workern im Zuge von #SpeakingOut zu trennen, so heftig sind auch die Treffer zu sehen, die die wXw einstecken musste als sie eine bereits abgedrehte Staffel neuzusammenschnitt, um die entlassenen Worker aus der Produktion zu entfernen.

Da ist es dann leider eine richtige wie schmerzhafte Entscheidung, dass ein recht intensiv aufgebautes Tag Team Title Match auf ein drei sekündiges Finish gekürzt wird und dass Champion Bobby Gunns die ganze Staffel nichts anderes tut als – immerhin verschiedene Dinge! – zu rauchen. Dass aufgrund der Pandemie mit Amale eine Titelträgerin der Promotion und mit Jurn Simmons ein Maineventer ebenfalls nicht mit dabei sein können, erschwert die Lage zusätzlich Das ist unschön, aber sollte gleichzeitig für jeden Wrestlingfan verständlich bleiben und dazu anregen, vor allem die Einzelteile zu bewerten.

Echtes Wrestling & Echter Unsinn

Und da gibt es tatsächlich dann gleich einige fette Pluspunkte, auf die wir an dieser Stelle noch einmal der Reihe nach eingehen wollen.

1. Marius Al-Ani vs. Dreissker & Rookies

Wer ab und an unseren Podcast hört, wird wissen, dass weder Marvin noch ich die größten Fans von Marius gewesen sind. Das hat sich durch diese Staffel Shotgun tatsächlich sofort gewandelt. Ohne viel groß Tam-Tam bekommt Al-Ani einen sportlichen Schliff. Ihn als Ausdauermonster zu positionieren ist gleichermaßen simpel wie effektiv, und gibt ihm den nötigen Background für die sportliche Angeberei. Dreissker auf der anderen Seite als Academy Herbergspapa zu positionieren ist ebenfalls stimmig, ist er doch schon ein wXw-Urgestein und gleichzeitig sympathisch. Dass Dreissker dann in den Segmenten mit den Rookies auch noch Wrestlingklischees reverse-engineeren darf und erklärt, wieso man auf die immer gleiche Weise aus Ankle Locks kommt, ist fantastisch

Der eigentliche Kniff an der Geschichte ist dann allerdings auch der Weg zum Match. Dreissker will dieses Aufeinandertreffen erst, nachdem Al-Ani mit Malik, Moodo und Heisenberg drei seiner Zöglinge vermöbelt, um zu zeigen, was für ein mieser Trainer der Österreicher sei. Die sind aber alle keine Pappkameraden, sondern verlangen Al-Ani alle eine andere Facette ab (Strikes, Geschwindigkeit, rohe Gewalt), so dass jedes mal beide Parteien enorm davon profitieren. Das erfindet das Wrestlingrad nicht neu, ist aber sehr schön umgesetzt.

2. Lucky Kid ist tot, lang lebe Metehan.

Babo-Transformation geglückt (Quelle: wxwnow.com)

Dass der Gimmickwechsel von Lucky hin zum Babo Metehan plus Gefolgschaft nach einem ziemlich finsteren Post-Caratsieg-Jahr durch die Coronakrise ausgebremst wird, hätte zur Pechsträhne gepasst, ist aber erfreulicherweise nicht wahr geworden. Stattdessen wird der Charakterwechsel sehr stilsicher und produktionstechnisch versiert untermauert. Metehan ist genauso kompromisslos in die wXw gestapft, wie es dieser Charakter tun muss. Das dann am Ende der Staffel am Ende sogar endlich Singles-Gold herausspringt, ist absolut folgerichtig.

3. Viel Erfreuliches neben der Mainerszene

Ein wenig empfand ich es in den letzten Jahren so, als wäre die wXw die Leichtfüßigkeit abhanden gekommen sei. Ich persönlich habe mich sehr gefreut, dass mit Leuten wie Mike Schwarz & Kevin Roadster dann auch wieder die Helden aus der zweiten Reihe einen Einzug in die Promotion gehalten haben. Tatsächlich ist man als Fan in solchen Formaten wie Shotgun auch einfach ein wenig offener für solche Späßchen, als man es vielleicht bei Liveshows eingepfercht zwischen hochdramatischen Matches wäre. Wenn die wXw mittelfristig durch Shotgun wieder einen festen Sidecast etablieren kann, wäre das ein enormer Gewinn für das Gefühl, sich bei der Promotion zuhause zu fühlen. Das Format ist in dieser Hinsicht erfreulich durchlässig für verschiedene Stoßrichtungen.

Eigentlich will ich aber nur endlich meinen Rotation-Run im Mainevent.

Liebe. (Quelle: wxwnow.com)

Auch darüber hinaus gibt‘s noch einige weitere schöne Dinge zu beobachten: Dass ein Levaniel den Charme und Witz seiner Live-Vorstellungen so problemlos vor die Kamera bekommt ist ebenso wenig selbstverständlich wie die guten Leistungen von Killer Kelly vor derselben Linse. Auch wenn die Storyline mit AJ, sehr unzeremoniell durch einen Skype-Call beendet, wahrlich keine Freude der letzten Monate war, ist sie zweifelsohne auf dem Weg zum wXw-Urgestein.

4. Saubere Produktion trotz Storyhürden

An schöne Dinge gewöhnt man sich leider relativ schnell, und so ist es auch mit der Produktion von wXw Shotgun 2020. Das wXw-Shows inzwischen sehr gut ausschauen, fällt einem gar nicht mehr so wahnsinnig auf. Bei genauerem Blick ist es allerdings beeindruckend, dass selbst die leeren Ränge der Steffy aufgrund eines guten Beleuchtungskonzepts, hervorragender Kamerarbeit und einer saftigen Soundkulisse gar nicht mehr so ins Gewicht fallen. Es ist relativ bemerkenswert, wie gut man die Herausforderung “Wrestling ohne Publikum” hier seit Anfang an gemeistert hat.

Die durch die Abgänge entstandenen Storylücken ließen sich in der Kürze der Zeit und ohne Nachdrehs nicht mehr schließen. Das ist schade, sollte allerdings durch die bereits abgedrehte zweite Staffel zu verschmerzen sein.

Fazit: Ein Multiplikator in jedem Belang

Die Rückkehr nach der Pause macht es noch deutlicher: wXw braucht Shotgun. Unabhängig von Rentabilität, die sich von außen nicht beurteilen lässt, zeigen selbst diese unter größten Widrigkeiten entstandenen Folgen, welche Potentiale das Format ausreizt. „Alte Eisen“ gewinnen deutlich an Profilschärfe, neue Charaktere werden spielend leicht integriert und – vielleicht am wichtigsten – verschiedene Stile werden spielend leicht zu einem kurzen & knackigen Produkt verknüpft.

Trotz der zwangsläufig entstandenen produktionstechnischen und narrativen Löcher hat sich bereits jetzt gezeigt, in wie vielen Hinsichten Shotgun als Multiplikator fungieren kann. wXw fühlt sich nach Zuhause an, bietet gleichzeitig mehr Platz für unterschiedliche Charaktere und erfährt eine echte Frischzellenkur. Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass mit der zweiten Staffel ein neuer Anlauf ins Haus steht, bei dem die ursprüngliche Version für die Staffel hoffentlich komplett verwirklicht werden kann, macht das Lust auf mehr. Und gleichzeitig lässt es darauf hoffen, dass die wXw einen Weg findet, dieses Projekt auch in Zeiten des Regelbetriebs in irgendeiner Form aufrechtzuerhalten.

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